Der französische Philosoph Roland Barthes (1915 - 1980) verfasste den Klassiker „Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie“. Hätte er sie erlebt, wäre er von der Digitalfotografie möglicherweise begeistert gewesen. „Ich bin kein Photograph“, schrieb er 1979, „nicht einmal ein Amateurphotograph; dafür habe ich zu wenig Geduld: ich muß auf der Stelle sehen können, was ich gemacht habe“.
Da die analoge Fotografie sogar zweistufiger Entwicklung bedarf, der des Negativs und der des Positivs, blieb dem Essayisten wohl damals nur das Schreiben... Inzwischen zeigen die Displays auf den Rückwänden digitaler Kameras „auf der Stelle, was ich gemacht habe“ – praktisch und vergnüglich nicht nur für Ungeduldige.
In dem Essay begibt sich Barthes auf die Suche nach nichts Geringerem als dem Wesen der Fotografie. Seine spannenden Ausführungen gründet er neben persönlicher Wahrnehmung auf die analoge fotografische Verfahrensweise. Ein Foto beglaubige, dass etwas – eine Sache, eine Person – da gewesen sei. Dabei interessiert Barthes weniger der Abbildungscharakter, sondern die Chemie: „die Entdeckung der Lichtempfindlichkeit von Silbersalzen“ erlaubte es, „die von einem abgestuft beleuchteten Objekt zurückgeworfenen Lichtstrahlen einzufangen und festzuhalten“. Die Strahlen haben sich gewissermaßen in die Papierbeschichtung eingegraben und manifestieren sich nun als Bild. „Die Photographie des verschwundenen Wesens berührt mich wie das Licht eines Sterns.“
Dieser - für Barthes nicht zuletzt die Magie des Mediums Fotografie begründende - Aspekt ist für das digitale Verfahren nicht mehr uneingeschränkt gültig. Pixel sind immaterieller als Salzkristalle. Das hat eine Verschiebung zur Folge, von der physischen Realität hin zur Möglichkeit, zur Vorstellung, wie ich meine. Stoff für eine neuerliche philosophische Betrachtung ...
Die Magie der Fotografie bei Barthes kennt jedoch noch eine zweite Seite: den Ausdruck. Er beruht auf der Anziehungskraft, die „innerliche Erregung“ auslöst. Damit ist keinesfalls nur Freude gemeint, sondern auch eine Art Verwundung. „Ergriffenheit“ trifft es vielleicht am besten, zu erfahren zum Beispiel vor den großartigen Portraits von Richard Avedon.
Der Ausdruck bezeichnet „dieses Unerhörte, das vom Körper zur Seele führt“ und wird zum Kennzeichen eines Fotos, das sich von der Masse der Bilder abhebt. Barthes formuliert das mit der ihm eigenen Poesie:
„So ist denn der Ausdruck der leuchtende Schatten, der den Körper begleitet; und wenn es einem Photo nicht gelingt, diesen Ausdruck zu zeigen, dann bleibt der Körper schattenlos, und ist dieser Schatten einmal abgetrennt, wie im Mythos von der ‚Frau ohne Schatten’, dann bleibt nichts als ein steriler Körper zurück. Durch diese feine Nabelschnur stiftet der Photograph Leben; und versteht er es nicht, sei es aus Mangel an Talent, sei es durch mißliche Umstände, der durchsichtigen Seele ihren hellen Schatten zu geben, so bleibt das Subjekt für immer tot.“
Schön gesagt, nicht wahr.
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