Georgia
O'Keeffe: Lila Petunien (1925). Sammlung des Newark Museums, Nachlass von Miss
Cora Louise Hartshorn, 1958 © Georgia O'Keeffe Museum / VG Bild-Kunst,
Bonn 2011
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Die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München zeigt eine Retrospektive von Georgia O’Keeffe
München. Die amerikanische Künstlerin Georgia O’Keeffe malte
Blüten als seien sie mit dem Makroobjektiv einer Kamera aufgenommen: nah, groß
und farbenprächtig. Diese ungewöhnlichen Perspektiven offenbaren die abstrakten
Qualitäten der Naturvorbilder, etwa in der Linienführung der Blütenblätter. Oder in den Farbkontrasten: Hat man in
der Kunstgeschichte jemals zuvor so ein großflächiges, prachtvolles Violett
gesehen wie auf dem Gemälde „Lila Petunien“ von 1925? Dessen atmosphärische
Stärke erinnert an die viel später entstandenen Arbeiten von Mark Rothko oder des
deutschen Malers Gotthard Graubner.
Freudianisches Missverständnis
O’Keeffe, die 1887 im US-Bundesstaat geboren wurde und ein
knappes Jahrhundert später, 1986, in New Mexico starb, ist vor allem bekannt
für diese Blütenbilder. Deren Bewertung als spezifisch weibliche Ausdrucksform
mit erotischen Konnotationen hält sich hartnäckig seit den 1920er-Jahren bis
heute: Sie ist letztlich wenn nicht auf ein Missverstehen, so doch auf einen freudianisch
geprägten Kritikerblick, der letztendlich sieht, was er zu sehen wünscht,
zurückzuführen.
Die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München zeigt die erste Retrospektive von O’Keeffe in Deutschland und wischt mit glücklicher Hand derart eindimensionale Sichtweisen vielleicht endgültig hinweg. So gibt die Ausstellung, die zuvor in Rom zu sehen war und von München nach Helsinki wandert, hierzulande auch hinsichtlich der Rezeption der Malerin diejenige Ernsthaftigkeit zurück, die sie sich selber zeitlebens erkämpft hat. Für ihre Rolle als unabhängige Künstlerin konnte sie nicht auf Vorbilder zurückgreifen, und von männlichen Kollegen wurde sie – trotz der Förderung durch den erfolgreichen Galeristen und Fotografen Alfred Stieglitz, ihren späteren Ehemann – lange nicht ernst genommen: „Alle männlichen Künstler, die ich kannte, machten mir deutlich, dass ich als Frau nicht darauf hoffen könne, es zu schaffen – ich könne ebenso aufhören zu malen“, schrieb sie in den 1920er-Jahren, allerdings weit davon entfernt, sich einschüchtern zu lassen.
Die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München zeigt die erste Retrospektive von O’Keeffe in Deutschland und wischt mit glücklicher Hand derart eindimensionale Sichtweisen vielleicht endgültig hinweg. So gibt die Ausstellung, die zuvor in Rom zu sehen war und von München nach Helsinki wandert, hierzulande auch hinsichtlich der Rezeption der Malerin diejenige Ernsthaftigkeit zurück, die sie sich selber zeitlebens erkämpft hat. Für ihre Rolle als unabhängige Künstlerin konnte sie nicht auf Vorbilder zurückgreifen, und von männlichen Kollegen wurde sie – trotz der Förderung durch den erfolgreichen Galeristen und Fotografen Alfred Stieglitz, ihren späteren Ehemann – lange nicht ernst genommen: „Alle männlichen Künstler, die ich kannte, machten mir deutlich, dass ich als Frau nicht darauf hoffen könne, es zu schaffen – ich könne ebenso aufhören zu malen“, schrieb sie in den 1920er-Jahren, allerdings weit davon entfernt, sich einschüchtern zu lassen.
Die Schau verbindet Leben und Werk zu einer Einheit.
Biographische Abschnitte spiegeln sich in thematischen Kapiteln zwischen Früh-
und Spätwerk. Georgia O’Keeffe ließ sich in hohem Maße durch ihre unmittelbare
Umgebung inspirieren und schätzte hierfür vor allem die Natur. Dies gilt sogar
für ihre abstrakten Arbeiten, die von der gleichen Formensprache durchdrungen
scheinen wie die gegenständlichen. Zwar verewigte sie in den Boomjahren 1925
bis 1929 auch die entstehenden Großstadtschluchten von New York auf der
Leinwand. Doch danach fand sie ihre Wahlheimat in den Wüstenlandschaften des
US-amerikanischen Südwestens. Die kargen Felsformationen, spektakulären Canyons
und magischen Kraftplätze des Stammeslandes der Navajo und Hopi kamen O’Keeffes
künstlerischer Gratwanderung zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit
entgegen. Die Abgeschiedenheit der damals relativ unerschlossenen Gegend mag
für sie Gegenpol zu ihrem gesellschaftlich geprägten Leben mit Stieglitz in New
York sowie auf dessen Familiensitz am Lake George gewesen sein.
Beseelte Landschaften
Die Bilder von Tierskeletten bringen diese Verbundenheit mit der Natur ebenfalls zum Ausdruck. Für die Künstlerin machten die Schädel von Pferden oder anderen verendeten Tieren die Essenz und Unerbittlichkeit der Wüste erfahrbar. Mit diesen Fundstücken umgab sich O’Keeffe auch in ihrem Haus auf der Ghost Ranch, wie die Fotografien belegen, die neben einigen abstrakten Skulpturen die Ausstellung ergänzen. Die gemalten Knochen sind jedoch nicht nur die Essenz der Wüste, sondern wirken ihrerseits wie landschaftliche Mikrokosmen.
Die Naturauffassung der Künstlerin, die sich mit ihrem
intimen Blick – sei es auf Wüste, auf Bäume oder Blumen – nahezu selber als
Teil der Landschaft begreift,
knüpft auf ihre Weise an die kulturelle Tradition der amerikanischen
Ureinwohner an. Dies jedoch jenseits oberflächlicher Zitate und mit den Mitteln
moderner Kunst, die völlig auf der Höhe ihrer Zeit sind. Für Völker wie die
Navajo oder Hopi waren und sind die unsichtbaren Kräfte den sichtbaren
Erscheinungsformen gleich geordnet. Eine solche Harmonie zwischen Geist und
Materie manifestiert sich in dem klaren Blick und den Werken von Georgia O’Keeffe.
Bis 13. Mai 2012. Öffnungszeiten täglich von 10 bis 20 Uhr.
Der Katalog (Hirmer Verlag) kostet 25 Euro. www.hypo-kunsthalle.de
Dieser Artikel ist erschienen in der Eßlinger Zeitung vom 27. April 2012.
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