Montag, 12. Juli 2010

Fotografie zwischen Oberfläche und Unsichtbarem - Die 8. Internationale Foto-Triennale Esslingen


Dies verspricht ein Sommer der Fotografie zu werden – zumindest im Mittleren Neckarraum, für ortsferne Leser: in und um Stuttgart herum.  Als erstes empfehle ich allen Freunden gepflegter Lichtbildartistik (diese Wortkreation stammt keineswegs von mir, sondern sie hat sich ein Fotograf in der Nachbarschaft aufs Atelier geschrieben, schmunzel... ), also wie gesagt, ich empfehle: Die 8. Internationale Foto-Triennale Esslingen 2010. Das Motto „Mapping Worlds“ ist klug gewählt im Zeitalter von Google Street View. Aber Welt-Kartierung ist natürlich viel mehr als das Erstellen einer dreidimensionalen Landkarte, um die es bei der - kuratierten - Schau höchstens in weiterem Sinne geht.

Die künstlerische Fotografie kartiert die Welt gewissermaßen als Bewusstseinslandschaft. Dazu zählen nicht nur reale Orte, sondern auch die in den Köpfen: politische, kulturelle, religiöse Zugehörigkeiten, die einerseits den eigenen Blick die Perspektive bestimmen. Andrerseits können sie beengend wirken, Grenzen erzeugen. 
Berührende Arbeiten aus dem Gaza-Streifen belegen das in der Ausstellung - so zum Beispiel die Schwarz-Weiß-Aufnahmen arabischer Graffiti, im Plakatwand-Format, der Holländerin Lidwien van de Ven. Anas Al-Shaikh aus Bahrain legt in einer Installation aus Leuchtkästen die Landkarten-Linien in den Köpfen spielerisch bloß: Wie auf Schnittmusterbögen geht es offenbar in unseren Hirnen zu, jeder folgt seinen Denk-Linien im Kopf oder schließt sich einem schon bestehenden Gefüge an. Bei als unüberwindbar (ebenfalls nur eine Vorstellung) gedachten kulturellen Differenzen kann das zu Krieg führen und zum Fortschreiben gewaltsamer Konflikte über Generationen hinweg.

Im historischen Ambiente der Villa Merkel – zwei weitere Ausstellungsorte sind das Bahnwärterhaus und die Galerie im Heppächer – führt der Bilderreigen aus mehreren Hundert Fotografien über drei Etagen. Die meisten Arbeiten bestehen aus Werkgruppen, Serien, die einer komplexen Welt wohl leichter gerecht werden als das Einzelbild. Sie verleihen Nachdruck durch Wiederholung oder erschließen, zum Beispiel reportageartig, mehrere Aspekte eines Themas.

Michael van den Bogaards zeigt quasi die Rückseite der Megacity Shanghai: einfache Quartiere sind dem Abriss geweiht, Schutthalden dehnen sich aus, dahinter wachsen Business-Hochhäuser in den oft von gleißendem Flutlicht erleuchteten Nachthimmel. Der niederländische Fotograf kartiert gewissermaßen die Nahtstelle von zwei Weltbildern, die hier aufeinanderprallen – das einer traditionellen asiatischen Stadt, in deren simpel hochgezogenen zweistöckigen Häusern die Leute mit ihren Läden im Erdgeschoss ein Auskommen haben, und eine gesichtslose Globalisierung der Gewinnmaximierung. Eine kontrastreduzierte Bildsprache unterstützt das Surreale.

Als Kontrapunkt zu den zeitgenössischen Standpunkten zieht sich eine 177 historische Schwarz-Weiß-Fotos umfassende Bildstrecke durch die Villa. Sie zeigt, nicht selten in humorvoller Weise, die Entwicklung der Schweiz zwischen 1840 und 1960. Von der Maultierkarawane verlagerte sich der Transport bis in die Lüfte. Das karge Leben der Almbewohner kontrastiert mit Errungenschaften des Fortschritts, Kuhhintern mit einem Paar nylonbestrumpfter Damenbeine. 

Rosalyn Titauds aufgeräumte Bildquadrate sind in einem Kloster entstanden. Man sieht darauf keine Menschen, wohl aber deren karge, gewissermaßen staubfrei-sterile und etwas altmodische Umgebung. In dieser Welt gibt es keine Nebensächlichkeit, sondern nur bedeutungsvolle Konzentration. Jedes Detail verweist auf die Priorität geistlichen Lebens und die Verinnerlichung der Bewohner dieser Räume. Ein schönes Beispiel dafür, dass Fotografie auch das Unsichtbare zu zeigen vermag.

Das Foto oben zeigt: Olaf Unverzart, aus der Serie "Von hier" (2000)
Unten: Anas Al-Shaikh, Serie "Hello Gulf" (2007)





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen