Montag, 19. Februar 2018

Das Herz bleibt


Ich mag Cappuccino-Herzen. Sie adeln den flüchtigen Moment und somit die Vergänglichkeit schlechthin.
Die Kunstform heißt "Latte Art", und Baristi der Welt haben sie zu höchster Perfektion geführt. Die Kaffeekünstler gießen florale Muster und Girlanden bis hin zu kleinen Gemälden in die Tasse. Das Gelingen des schaumgeborenen Kunstwerks ist abhängig von der Temperatur der Milch und von ihrem Fettgehalt. Ich habe gehört, sogar Wetter und Luftfeuchtigkeit sollen sich dem Profi bemerkbar machen. Doch auch wenn ich mich an der Virtuosität erfreuen kann – die einfachen Herzen gefallen mir immer noch am besten.

Ein solches Herz bedeutet für mich, einen kleinen Schatz zu finden. Das Leben gibt ein Zeichen und sagt 'ja'. Eine Bestätigung, dass ich auf dem richtigen Weg bin, egal auf welch verschlungen-urbanem Dschungelpfad ich mich gerade durchs Leben schlage. Das Herz hat immer Recht.
So ist das kleine Herz im Cappuccino vielleicht ja eine Erinnerung, mein eigenes Herz zu spüren. Oder es verheißt eine herannahende glückliche Fügung. In diesem kleinen Herz nimmt das Hier und Jetzt Gestalt an und versöhnt mich manches Mal mit mir selbst.

Auch wenn ich sonst so gut wie keine Milchprodukte esse – weil es heute kaum noch glückliche Kühe gibt, die glückliche Kälber zur Welt bringen: Beim Cappuccino mache ich hin und wieder eine Ausnahme. Dogmatismus halte ich für weniger gesund als meinen Cappuccino mit Genuß zu trinken.
Kaffeekultur dieser Art ist sicherlich in der Großstadt zu Hause. Ein Café verheißt Zugehörigkeit zum urbanen Gefüge, das wie ein Kaleidoskop in Fragmente zerfällt und gleichzeitig wundersam zusammengehalten wird. Einfach da sitzen und anderen beim Leben zuschauen. Dieses Hintergrundrauschen ist die perfekte Kulisse beispielsweise zum Schreiben. Sie ist ein Gegengewicht zur inneren Gedankenwelt und hilft ihr, sich in den Ausdruck zu gebären...
"Im Kaffeehaus sitzen die Leute, die allein sein wollen, aber dazu Gesellschaft brauchen" –  fasste der österreichische Schriftsteller Alfred Polgar dieses moderne Paradoxon zusammen.

Und zuletzt eine liebenswerte Beobachtung:
Auch wenn der Kaffee getrunken ist, ist das Herz aus Milchschaum noch da.
Das Herz bleibt.



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