Mittwoch, 13. April 2011

Michel Houellebecq in Stuttgart

In Stuttgart gab es letztens ein literarisches Event der besonderen Art: Michel Houellebecq, der in Deutschland außer in Benztown nur noch in Berlin Station machte, beehrte seine Zuhörer/Leser mit unglaublich schlechter Laune - und einer Lesung.
Den folgenden Text + Foto habe ich in der Esslinger Zeitung am 9. April 2011 veröffentlicht:

Michel Houellebecq beäugt sein Publikum in Stuttgart. Foto: Christine Wawra

"Ich bin eine Karte"
Der französische Starautor Michel Houellebecq liest im Stuttgarter Mozartsaal aus seinem neuen Roman "Karte und Gebiet"
Von Christine Wawra
Wieviel Koketterie braucht ein Schriftsteller seinem Publikum gegenüber? Sollte er es in einer Lesung gewinnend anlächeln, verbindlich anschauen, als Verbündeten behandeln, dankbar für das ihn nährende Leserinteresse? Michel Houellebecq scheint von alledem nichts zu halten, spielt zumindest mit einer unnahbaren Fassade. Als der Pariser Literaturwissenschaftler und Moderator des Abends, Jürgen Ritte, den französischen Starautor im Mozartsaal der Stuttgarter Liederhalle vorstellte, huschte kein Lächeln über dessen Gesicht. Der jüngst mit dem höchsten französischen Literaturpreis, dem Prix Goncourt, Ausgezeichnete schien unbeteiligt, ja abwesend, und wenn er nicht rauchte, nagte er gerne an seinen Fingernägeln herum. Währenddessen lief die Maschinerie des Literaturbetriebs wie in einem parallelen Universum neben ihm ab. Ritte sprach von Houel­lebecqs Erfolg, wobei der Autor in Deutschland „vielleicht noch bekannter als in Frankreich“ sei. Er schreibe nicht nur Romane, sondern sei auch längst zur Romanfigur geworden, etwa in Werken von Bodo Kirchhoff oder Iris Hanika. Eine 850 Seiten mächtige Doktorarbeit, die Ritte ins Publikum zeigte, behandle lediglich die Rezeption des Erfolgsautors in deutschsprachigen Ländern zwischen 1999 und 2005.
Doch der, über den da geredet wurde, taute nicht wirklich auf. Rittes erste Frage, ob der Erfolg in Deutschland sein Bild über das Nachbarland verändert habe, beantwortete er mit einem längeren Räuspern und einem schlichten "nein". In der Doktorarbeit stünde das ja drin. Ob darin Passagen seien, die ihn amüsiert haben, wollte der Moderator wissen. "Oui". Übersetzer Jürgen Stähle schaltete sich ein: "'Oui' heißt 'ja', aber das wussten Sie schon." Lachen im Saal. Das Publikum wollte unterhalten sein und verzieh seinem Starautor das Divenverhalten offenbar mit Humor.

Vielleicht ist ja der Autor auch ein wenig wie sein Werk, ist der Mensch Houellebecq ebenso wenig greifbar wie ein eindeutiger Sinn seiner Kunst. „Karte und Gebiet“ ist ein Künstlerroman, in der Wirklichkeit und Fiktion in brillanter Sprache fließend ineinander übergehen. „La carte n’est pas le territoire“ heißt es in einer französischen Redewendung: Die (Land-)Karte ist nicht das Gebiet“. Neben dem Protagonisten Jed, einem Maler und Fotografen, tritt Michel Houellebecq selber als Romanfigur auf - und lässt sich grausam ermorden, zerstückeln. Trotz seines kunsttheoretischen und philosophischen Gehalts ist das Buch auch ein spannender Krimi. Die Handlung spielt in naher Zukunft, wenn sich offenbar die Kernfragen einer Me diengesellschaft nach dem Verhältnis von Kunst und Realität - was ist Inszenierung, was ist wahr, wo verläuft die Grenze? - noch zuspitzen.
Er wolle seine Leser „hypnotisieren“, so der Autor, „dass sie nicht wissen, wo’s langgeht“. Das ist ihm nicht nur schreibend gelungen, sondern gelang ihm auch beim Lesen. Mit seiner großen, schwarzumrandeten Brille trug er in tranceartiger Monotonie eine Passage vor, in der sich Steve Jobbs und Bill Gates begegnen. Houellebecqs Stimme hatte etwas Zerbrechliches und offenbarte überraschend eine Zartheit, die ja auch dem sprachlichen Feinsinn seiner Texte innewohnt. Wer so empfänglich ist für die Welt, wer diese derart bildmächtig in sein Schreiben einlässt und sich in einem „Roman des Verschwindens“, wie Ritte „Karte und Gebiet“ nannte, buchstäblich auflöst, der muss sich vielleicht vor derselben Welt auch immer wieder schützen, ja sie abwehren.
Felix Klare, bekannt als Stuttgarter „Tatort“-Kommissar, las aus der deutschen Übersetzung von Uli Wittmann. Als geübter Sprecher ließ er die Figuren und ihre Gedanken lebendig werden und im Lesen körperliche Präsenz spüren: geradezu das Gegenmodell zum Vortrag des Autors selbst, der während Klares Sprechen Wort für Wort in der französischen Ausgabe mitverfolgte.
Bei den nachfolgenden Fragen, die Ritte an Houellebecq stellte, war der Autor dann etwas gesprächiger als am Anfang. Nette Anekdoten konnte man freilich nicht erwarten, sondern er bewegte sich gewissermaßen innerhalb der Hermetik seines Romans. „Ich fühle mich so sehr als Rea list, wie eine Karte realistisch ist. Eigentlich bin ich eine Karte“, sagte er. Das grausame Gemetzel, den Mord an seinem alter ego im Roman, verteidigte er als „schönes und clowneskes Bild für den Leser“. Es habe auch etwas zu tun mit dem Bild, das man sich von ihm mache. „Ich finde es jedenfalls lustig“, sagte Houellebecq. Wie ein Gnom lächelte er dabei, und seine Augen blitzten auf.
Von links nach rechts: Übersetzter Jürgen Stähle, Michel Houellebecq,
Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte,  Sprecher Felix Klare  Foto: Christine Wawra


Übrigens: Warum dieses Programm manchmal Absätze im Text nach meinen Eingaben macht und manchmal nicht - das weiß der Geier! ;-)

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