Montag, 27. Dezember 2010

Doch kein verschneiter Winterwald


Ist das nicht eine märchenhafte Winterlandschaft mit verschneitem Wald?
Könnte man auf den ersten Blick meinen. Auf den zweiten aber gibt es doch ein paar irritierende Kleinigkeiten wie zum Beispiel das üppige Blattwerk an den Sträuchern oder dass die Wiese doch aussieht wie eine Wiese und nicht wie ein Schneefeld.
Die Lösung lautet, dass es sich um gar keine verschneite Winterlandschaft handelt. Sondern um ein Infrarot-Foto. Aus dem neuen Buch "Digitale Infrarotfotografie" von Klaus Mangold. Direktlink zu Amazon 

Da ich die Effekte der IR-Fotografie zwar ausgesprochen interessant finde, mich aber mit dem Thema insgesamt - technisch und optisch und überhaupt - nicht besonders gut auskenne, lasse ich nun lieber den Autor im Interview zu Wort kommen. Doch weil's so schön ist, zuvor noch ein "verschneites" Foto:
CW: Was genau ist denn nun eigentlich Infrarotfotografie?

KM: Diese Fotografie arbeitet mit Wellenlängen, die unser Auge nicht wahrnehmen kann. Dabei handelt es sich um Strahlung, die am langwelligen Ende des für uns sichtbaren Spektralbereichs anschließt.

CW: Was fasziniert Dich daran?

KM: Solche Bilder haben eine ganz charakteristische, unwirklich erscheinende Anmutung. Am bekanntesten ist dabei der so genannte Wood-Effekt (die Bilder mit "Raureif im Sommer", weil Blattgrün im Infrarot schneeweiß abgebildet wird. Das ist zwar der spektakulärste, aber bei weitem nicht der einzige überraschende Effekt, der einen bei IR erwartet. Tatsächlich ist es so, dass man auch nach einem oder zwei Jahren intensiver Beschäftigung mit Infrarotfotografie immer noch Neues entdeckt.

Die Kamera verstehe ich dabei als eine Art "Übersetzungsmaschine" für das ja eigentlich nicht Sichtbare. Spannend wird das dann, wenn man nach den ersten Misserfolgen plötzlich entdeckt, dass man sich erstaunlich gut in diese unsichtbare Welt rein finden kann. Ich denke, ein von Geburt an Blinder muss wohl was ganz Ähnliches erleben, indem er lernt sich in der Welt der Sehenden mit anderen Sinneswahrnehmungen zurecht zu finden. Ein ganz wesentlicher Schritt war für mich, dass ich nach gar nicht so langer Zeit von der reinen Landschaftsfotografie weg gekommen bin und auch ganz andere Themen für IR entdeckt habe, die im ersten Augenblick eigentlich völlig unbrauchbar erscheinen. Dazu gehört zum Besipiel die Aktfotografie.

CW: Offenbar kommt es nicht nur auf den richtigen Blick und die geeignete Technik an, sondern auch in großem Maße auf die digitale Bildbearbeitung. Mir ist aufgefallen, dass Deine Bilder zwar verfremdet wirken, aber dass Du keineswegs wilde, extrem unnatürliche Effekte kreierst. Wozu dient Dir die Bildbearbeitung?

KM: Weil ich bei Infrarotfotografie ja im nicht sichtbaren Spektralbereich arbeite, gibt es kein echt oder unecht mehr. Warum sollte ich mich also sklavisch an das halten, was mir die Kamera durch ihre Art der "Übersetzung" gerade vorsetzt? Ich finde, dafür gibt es wirklich keine Notwendigkeit. Ich finde es deshalb nur naheliegend, dass ich mit der digitalen Bildbearbeitung die Bilder in der Art ausarbeite, die ich haben möchte. Natürlich bemühe ich mich darum, eine einigermaßen durchgängige Bildsprache beizubehalten.

CW: Wie hast Du die IR-Fotografie entdeckt?

KM: Ich hab schon früher mit Film mit Infrarotfotografie experimentiert. Das konnte mich aber durch die sehr umständliche Art der Arbeit, die nicht vermeidbar war, noch nicht nachhaltig begeistern. Erst durch die Digitalfotografie gab es einen qualitativen Sprung: Sofort nach dem Druck auf den Auslöser ist das Ergebnis zu sehen - bei Kameras neuerer Generation (LiveView) sogar schon davor. Der früher sehr hohe Anteil an Ausschuss ist jetzt Vergangenheit. Richtig begeisternd finde ich aber erst technisch modifizierte Kameras, mit denen auch im IR ganz normal kurze Belichtungszeiten kein Problem mehr sind. Damit öffnet sich die Welt bewegter Objekte auch für die Infrarotfotografie.


Und wenn Herr Mangold gerade nicht fotografiert oder Bücher schreibt, betätigt er sich beispielsweise in der Grillvorbereitung wie auf dem nachfolgenden Foto, garantiert kein Infrarot-Bild;-)

Montag, 6. Dezember 2010

Buchvorstellung "Brezeltango"

Warum nicht mal ein Buch vorstellen, das zu lesen mir in letzter Zeit Spaß gemacht hat. Die Rezension von mir ist so am 4. Dezember in der Esslinger Zeitung erschienen.

Dirndl statt Kittelschürze
Elisabeth Kabateks schwäbisch-ironische Beziehungsstory "Brezeltango"

Schon in ihrem zweiten Buch-Auftritt zeigt sich Elisabeth Kabateks Heldin Pipeline Praetorius als absolut serienverdächtig: Mit „Brezeltango“, der Fortsetzung des Bestsellers „Laugenweckle zum Frühstück“, hat die Stuttgarter Autorin ein Lesevergnügen geschaffen, das ihrem Erstling an Leichtigkeit, Situationskomik und Sprachwitz in Nichts nachsteht.
Zwar ist es ein Roman mit viel Lokalkolorit, und zu den mundartlichen Passagen gibt es (in Maßen) Übersetzungshilfen für Nicht-Schwaben. Doch gewinnt die Geschichte ihren Charme nicht zuletzt aus der liebevollen Distanz der Ich-Erzählerin Pipeline, genannt Line zu allzu viel Schwabentum. Sie stammt wie ihre Erfinderin aus einem „kleinen, unbesiegbaren Dorf in der Nähe von Stuttgart, das sich erfolgreich gegen die Eingemeindung durch die Metropole gewehrt hatte“. Den Kartoffelsalat in die Maultaschen-Brühe zu klatschen, erregt so bei Line ebenso viel Schaudern wie die über die Kehrwoche ausgeübte Sozialkontrolle.

Inzwischen sind Line, deren „Katastrophen-Gen“ für ihr chaotisches Leben verantwortlich ist, und der Bosch-Ingenieur Leon aus Hamburg ein Paar. Und belegen auf 333 Buchseiten, dass sich Gegensätze anziehen, dass das Leben so dramatisch ist wie ein Tango und die Wege des Glücks manchmal so verschlungen sind wie eine Brezel.
Line, die noch-arbeitslose Werbe-Texterin, braucht intellektuelles Futter und fühlt sich als Vertreterin der Kreativbranche zur Stuttgarter Künstlerszene hingezogen. Leon ist mehr der solide Typ, der sich auf dem Grillabend im Reihenhaus des Kollegen wohlfühlt. Ihn würde es ja schon glücklich machen, wenn Line ihn im Dirndl zum Cannstatter Wasen begleitet. Die lehnt derartigen Kostümzauber ab, womit die Katastrophe ihren Lauf nimmt. So bekommt Rivalin Yvette, Leons mit allen weiblichen Primärreizen ausgestattete Kollegin ihre Chance. Nur Herr Tellerle und Frau Müller-Thurgau können das scheinbar bevorstehende Ende noch wenden und sind damit für ihre kleinen Gemeinheiten im Treppenhaus rehabilitiert.

Kabateks Humor schlägt viele Kapriolen. Dass er nicht selten slapstick-mäßig mit der Schreiberin durchgeht, sorgt für surreale Einlagen. Die tragen paradoxerweise zur Glaubwürdigkeit bei. Schließlich ist das Leben selbst oft sprunghaft.
Doch ebenso wichtig ist die sorgfältige Beobachtung, auf der der Text basiert: Dazu gehört der Zeitgeist in Benztown ebenso wie die Unterschiede zwischen Beziehungserwartung und -wirklichkeit. Letztere funktioniert ja oft mehr nach Currywurst- als nach Candle-Light-Dinner-Prinzip. Protagonistin Line steht für eine Überwindung dieser Gegensätze.
Auch diejenigen Menschen im Buch, die anfangs jedem Klischee zu entsprechen scheinen, sind nicht glatt: So entpuppt sich der Porsche fahrende Zahnarzt Harald als patenter Mensch und doch als richtiger Freund für Lines weltverbessernde Freundin Lila. Wie jede Komödie im echten Sinne dringt der „Brezeltango“ in seelische Tiefen vor – mit scheinbar leichter Hand.                               
Christine Wawra

Elisabeth Kabatek: Brezeltango. Silberburg-Verlag, Tübingen. 12,90 €
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