Mittwoch, 16. Juni 2010
Der Fotograf, der Regisseur und die Kathedrale
Dienstag, 15. Juni 2010
Pflicht und Kür: Das Making Of der Kunstkritik
Das bin ich, bei der Arbeit: auf der Pressevorbesichtigung des Schauwerks Sindelfingen, einem neuen großzügigen Privatmuseum. Wie man (auf dem eingescannten Zeitungsfoto nicht so gut) sieht, habe ich mich mit meiner Tasche farblich auf den Termin eingestimmt. Die im Bild verteilten Damen und Herren sind übrigens alle Journalisten. Der Fotograf hat sich erfolgreich Mühe gegeben, uns ohne Schreibwerkzeuge abzubilden, gar nicht so einfach bei einer solchen Gelegenheit. Soll ja nachher so aussehen als gingen normale Besucher dem Kunstgenuss nach... Ich gehe ganz gern auf Pressekonferenzen, wenn sie an interessanten Orten stattfinden. Hinterher beim Schreiben setze ich mich dann wiederum gern über die vielen Infos, die ich hochkonzentriert aufgesaugt habe, in Maßen hinweg. Noch immer ist das Fach des Kulturjournalisten oder Feuilletonisten ja untrennbar mit dem des Kritikers verwoben, wobei Kritik dem Wortsinn nach keinesfalls nur negativ zu sein hat (so wird der Begriff inzwischen umgangssprachlich verwendet, wie ich finde: leider). Der griechische Ursprung von Kritik meint „unterscheiden, trennen“. Es geht also um derart Nützliches wie Unterscheidungsvermögen und Klarheit.
Von dem Museum wird übrigens noch zu reden sein, denn die Fotokunst in der Sammlung ist nicht nur was die Quadratmeterzahlen einzelner Bilder angeht, beeindruckend.
Samstag, 12. Juni 2010
Bisschen bissig: Wie weiblich ist Fotografie?
Vielleicht mache ich ja alles falsch... Zum Beispiel fasse ich meine Kamera stets ohne Handschuhe an. Das Heft „Foto-Lady“ des veritablen Versandhauses Brenner weiß es da aber besser. Es will „die Frau hinter der Kamera“ mit Produkten und Tipps versorgen, verspricht sogar einen Fotokurs. Macht sich da endlich mal jemand über den weiblichen Blick Gedanken, ist die Zukunft der Fotografie gar weiblich?
Kann ich also meine Bilder optimieren, wenn ich beim Fotografieren Handschuhe trage? Oder geht es vielmehr darum keine Fingerabdrücke auf dem Gehäuse zu hinterlassen, damit man später die Täterin der Fotos nicht so leicht identifizieren kann? Nein, ich hab’s: Den Fotoapparat nicht nur auf Händen zu tragen, sondern auf Handschuhen, hilft – beim Weiterverkaufen.
Denn schlägt frau das Heft auf, wartet der schon auf dem Titel angekündigte „Fotokurs Produktfotografie“, Untertitel „Internetverkauf ist weiblich“. Am Beispiel roter High-Heels wird ein Lichtwürfel vorgestellt, den man für bessere Verkaufserfolge in Internet-Auktionshäusern tunlichst erwerben sollte. Ob es auch mit anderen Schuhen funktioniert? Die abgebildeten sollte frau allerdings in der Tat schleunigst loswerden, wenn sie das Fotografieren ernsthaft betreiben möchte. Als Arbeitskleidung für eine Tätigkeit mit immer wieder nicht zu unterschätzendem körperlichem Einsatz (wie zum Beispiel Objektivstemmen) taugen sie null.
Die im Heft ausgestreuten Zitate von Oscar Wilde erwecken immerhin mein Vertrauen, der wusste doch was Frauen wünschen - oder hab ich da was falsch verstanden... Wow, die kleine Kompakte gibt es auch mit Brilli! Und das „x-tra einfach in der Bedienung“ – da hat sich jemand echt über die Bedürfnisse von Frauen Gedanken gemacht. Denn das Doofe am Fotografieren ist ja die viele Technik. Wo doch jeder, zumindest jeder Mann, weiß, dass Frauen und Technik... Was ja offenbar kein Vorurteil ist, wenn es sich so hartnäckig hält. Muss was dran sein.
Auf der nächsten Seite: unentbehrliches Zubehör. Fototaschen als Handtaschen verkleidet. Klar, zeigen sollte frau dann vielleicht doch nicht so offensichtlich, dass sie sich der männlichen Domäne Fotografie bemächtigt hat. Der nicht-ganz-Louis-Vuitton-Preis für so ein Teil rechtfertigt sich bestimmt durch die 3 (?) Handy-Taschen. Auch an Schlaufen für Lippenstift wurde nicht gespart. Doch das „lange Band mit Karabinerhaken“, ist da etwa eine Outdoor-Version gleich eingearbeitet? Why not, so outdoor im Cabrio macht sich die Tasche bestimmt klasse. Aber auch nur, wenn sie zur Lederfarbe der Sitze passt. Die vamp-mäßig in Fell gekleidete Schöne auf der nächsten Doppelseite – also in einem Heft für die weibliche Klientel hätte ich ein entsprechend leicht bekleidetes männliches Model verführerischer gefunden – schielt begehrlich auf weitere Taschen.
Allmählich drängt sich mir der Gedanke auf, dass sich das Heft gar nicht an die weibliche Klientel richtet. Sondern an die Ehemänner, die mal noch eben ein Geschenk suchen für ihre dekorativere Hälfte.
Also mache ich ja vielleicht doch gar nichts falsch, wenn ich bei meiner Ausrüstung bleibe und weiterhin munter und drauflos mit Fingerabdrücken fotografiere. Allerdings: Jemand der mir besagte Ausrüstung trägt, könnte ich schon gebrauchen. Analog zur „Frau hinter der Kamera“ wäre das dann „der Mann unter der Kamera“.
Bewerbungen bitte an mich;-)
Sonntag, 6. Juni 2010
Realität als Verhandlungssache - "Blow Up", Teil 2
Doch trotz aller Überheblichkeit ist der Protagonist auf der Suche – vordergründig nach gewinnbringenden Motiven, hintergründig nach Wahrheit und Sinn. Die zunächst hemmungslos voyeuristisch fotografierte Szene im Park erregt auch in der Dunkelkammer seine Aufmerksamkeit, denn aufgrund einer Widersprüchlichkeit gerät er auf die Spur eines Mordes. In endlos scheinender Folge vergrößert er das fragliche Detail bis das Filmkorn einem abstrakten Kunstwerk gleicht. Ein solches hat der Betrachter bereits gesehen, im Atelier von Bill, der das Bild folgendermaßen erläutert: „Es hat keine Bedeutung. Erst später finde ich irgendwas, das mich daran fesselt. Dann wird alles auf einmal klar und fügt sich zusammen. So als ob man in einem Krimi eine Spur findet.“ Das ist eine Schlüsselszene des Films - der neben einem Generationenportrait nichts weniger als eine philosophische Parabel ist: Welche Bedeutung haben die Dinge, und haben sie überhaupt eine Bedeutung?
Das aufgeblasene (blow up) Detail schließlich zeigt Pistole und eine Leiche. Dieser Art begegnet der Fotograf dem Tod, was ihn nachdenklicher macht (und die von seinem arroganten Gehabe angenervte Betrachterin atmet erleichtert auf;-).
Der Regisseur findet Gefallen am Verwirrspiel mit der Wahrheit: Die Bilder, die vermeintlich die Realität abbilden und die Existenz der Leiche belegen, lässt er verschwinden bis auf eines. Vanessa Redgrave holt sie aus dem Studio und behauptet damit ihr Persönlichkeitsrecht. Dann ist auch die Leiche selber weg. Was ist nun wirklich passiert? War alles nur Einbildung? Ist Realität in Wahrheit ein Konstrukt, das nur für diejenigen Gültigkeit hat, die seine Spielregeln teilen? Das legt Antonioni nahe und verpackt diese Ansicht in das lyrisch- pantomimische Tennisspiel der Schlussszene. Dieses Spiel gibt es nur als Vereinbarung aller Beteiligten. Zunächst bleibt die Kameraführung außerhalb, dann folgt sie dem unsichtbaren Ball – bevor der Fotograf ebenfalls seine Zuschauerrolle verlässt und den imaginierten Ball aufs Spielfeld zurückwirft.
In dem rätselhaften Kaleidoskop, das dieser Film darstellt, nimmt die Fotografie einen Platz ein, der manche vielleicht überraschen mag: Keinesfalls steht sie für die objektive Wahrheit, sondern lediglich für des Fotografen Sicht auf die Welt. Die postulierte Objektivität gibt es nicht. Deutung, Bedeutung ist eine Vereinbarung, gewissermaßen Verhandlungssache.
Mittwoch, 2. Juni 2010
"Jeder wollte plötzlich Fotograf werden."
CW: Als "Blow Up" herauskam, warst Du gerade 17-jähriger Fotografenlehrling. Wie hat der Film auf Dich gewirkt?
KH: Ich war damals in meinem ersten Lehrjahr, in Düsseldorf. Der Film war völlig anders als man bis dahin Kino kannte. Er hat ein bestimmtes Lebensgefühl transportiert, eine Aufbruchstimmung. Er ist nicht umsonst ein Kultfilm geworden. Es spielt alles mit hinein, was dann in die Hippiezeiten, die 68-er gemündet hat, wie Rockmusik zum Beispiel.
Der Fotografenberuf war ja zu der Zeit in erster Linie Handwerk und oft eher eine muffige Angelegenheit. Er hatte noch nicht dieses Flair wie er es heute hat. Man hat Passbilder gemacht und meist die Tage in einer stickigen Dunkelkammer verbracht.
Und wenn man als Lehrling überhaupt mal fotografieren durfte, musste man extrem sorgfältig mit dem Hintergrundkarton umgehen, damit er ja keinen Knick bekommt. Und jetzt spielen sich in dem Film Szenen ab, wo nicht nur einer, sondern gleich mehrere Hintergrundkartons zerknüllt werden! Das war eine unglaubliche Verschwendung und völlig konträr zu dem, was wir gelernt haben. Und in der Dunkelkammer wässert er dann kaum, jedenfalls nicht wie wir das mussten. Wie der mit dem Material umgeht, war klar: Er muss wirklich reich sein. Es wär natürlich auch langweilig im Film, ihm zuzuschauen wie er eine Stunde wässert. (lacht)
In der Berufsschulklasse, die damals klein war, haben wir uns wochenlang über diesen Film ausgelassen. Da hat man sich gedacht: „Mensch, hast du doch den richtigen Beruf gewählt.“ – Ein Jahr später gab es dann mehrere Fotografenklassen, weil jeder Fotograf werden wollte plötzlich. Schwer zu sagen, ob das wegen des Films war, aber der hat sicher dazu beigetragen. Er war so geheimnisvoll, und der Fotografenberuf ist als was Besonderes rausgekommen. Jeden Tag kannst du so was machen wie der im Studio ...
Übrigens haben wohl die meisten von uns damals gar nicht gewusst, was „blow up“ eigentlich heißt, dass damit das Vergrößern gemeint ist. Hauptsache Englisch, das war das Lebensgefühl, so genau musste man das nicht verstehen.