Mittwoch, 16. Juni 2010

Der Fotograf, der Regisseur und die Kathedrale



Fast acht Quadratmeter misst die "Kathedrale I" von Andreas Gursky. Digitale Kompositionen wie diese aus dem "Schauwerk Sindelfingen" machen zweifellos viel Arbeit, das Bild möchte ich nicht unbedingt zusammengepuzzelt haben...  (Allerdings für Gurskys Honorare dann vielleicht schon, ist er doch einer der höchstgehandelten Fotografen.) Von der Wirkung her mag das Werk an Gemälde vergangener Jahrhunderte heranreichen, als es - wie beispielsweise bei den Niederländern - modern war, sakrale Innenräume abzubilden. Die waren damals allerdings naturgetreu wiederzugeben - was für Gursky und die heutige Zeit ja keinesfalls mehr gilt. Seine Kathedrale ist ein Kolossalbau, megalomanisch sprengt sie menschliche Dimensionen. Welchen Göttern huldigt diese Architektur, die - unterstützt vom Bildformat - an archaische Großbauten der babylonischen und anderer Kulturen erinnert? Das Riesenhafte hat zugleich etwas Düsteres, was technisch gesehen von einer entsättigten Farbigkeit (gesprochen im Photoshop-Terminus) herrührt. Das Loch im Vordergrund scheint ins Erdinnere selbst zu führen, zumindest möchte man da nicht hineinstolpern... 

Die Menschengruppe ist der Maßstab, an ihr lassen sich die Ausmaße der Architektur ermessen. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass da ein Filmteam zugange ist. Junge Menschen mit Rasta-Haaren bedienen eine Filmkamera auf einem Stativ, deren Netzkabel sich übrigens in dem Erdhaufen verliert. Vielleicht eine neue Form von Geothermie, einfach Stecker in die Erde halten und fertig. Eine Frau fotografiert parallel zu den Filmaufnahmen, und ein Herr mit schulterlangen Haaren und markanter Brille weist allen die Richtung. Kein Zweifel, das ist Wim Wenders am Set.
Das Kameraobjektiv scheint dabei auf das Licht selbst gerichtet, wie es in Strahlen durch die Fenster fällt - und wer weiß, was das in ein unwirkliches Ambiente versetzte Team von seinem Standpunkt aus zu sehen vermag.
Gursky hat also seinem Kollegen aus der Welt der laufenden Bilder ein kleines Denkmal gesetzt. Das ist nur stimmig, wenn man bedenkt dass umgekehrt Gursky für Wenders' Fotografen aus "Palermo Shooting" Pate gestanden hat - wenigstens was sein Werk angeht (Zu Palermo Shooting siehe Blog-Einträge vom 18. und 19. Mai). Vielleicht zeigt das Detail ja sogar ein Setfoto aus eben diesem Film. Die Stimmung der "Kathedrale" würde auch dazu passen. Ihre übermenschliche Ausstrahlung ähnelt dem Archiv, wo sich Tod und Fotograf begegnen. Dort wird die Bedrohung überwunden, indem der Protagonist sich ausliefert. Bei Gursky scheint in dem Zusammenhang das Filmteam eine Rolle zu spielen. Was gestaltet werden kann in der Kunst, verliert seinen Schrecken.

Dienstag, 15. Juni 2010

Pflicht und Kür: Das Making Of der Kunstkritik


Das bin ich, bei der Arbeit: auf der Pressevorbesichtigung des Schauwerks Sindelfingen, einem neuen großzügigen Privatmuseum. Wie man (auf dem eingescannten Zeitungsfoto nicht so gut) sieht, habe ich mich mit meiner Tasche farblich auf den Termin eingestimmt. Die im Bild verteilten Damen und Herren sind übrigens alle Journalisten. Der Fotograf hat sich erfolgreich Mühe gegeben, uns ohne Schreibwerkzeuge abzubilden, gar nicht so einfach bei einer solchen Gelegenheit. Soll ja nachher so aussehen als gingen normale Besucher dem Kunstgenuss nach... Ich gehe ganz gern auf Pressekonferenzen, wenn sie an interessanten Orten stattfinden. Hinterher beim Schreiben setze ich mich dann wiederum gern über die vielen Infos, die ich hochkonzentriert aufgesaugt habe, in Maßen hinweg. Noch immer ist das Fach des Kulturjournalisten oder Feuilletonisten ja untrennbar mit dem des Kritikers verwoben, wobei Kritik dem Wortsinn nach keinesfalls nur negativ zu sein hat (so wird der Begriff inzwischen umgangssprachlich verwendet, wie ich finde: leider). Der griechische Ursprung von Kritik meint „unterscheiden, trennen“. Es geht also um derart Nützliches wie Unterscheidungsvermögen und Klarheit.

Die offizielle Schauwerk-Eröffnung am darauffolgenden Abend war dann übrigens ein Termin der Spitzenklasse. Zu schauen gab es wahrlich eine Menge, zumal ich die Kunst ja schon kannte. Also konnte ich mich ganz auf die geladenen Gäste konzentrieren. Sie überboten die farbenprächtigen Werke noch an Dekorativität, und das will was heißen. Daran hatten Susanne und ich (siehe Bild unten) viel Spaß. Ebenso an den Häppchen (gefühlte Zehn-Sterne-Küche), die es uns nicht weniger als fünf Stunden in diesen Hallen aushalten ließen. Susanne hat auch dankenswerterweise verhindert, dass die mit Ruinart-Champagner gefüllten Kelche achtlos an mir vorübergingen – nachdem wir uns plötzlich im VIP-Bereich wiederfanden. In den Gläsern auf dem Bild ist aber noch kein Schampus drin: das war am Anfang als Unterscheidungvermögen und Klarheit noch gänzlich vorhanden waren.
Von dem Museum wird übrigens noch zu reden sein, denn die Fotokunst in der Sammlung ist nicht nur was die Quadratmeterzahlen einzelner Bilder angeht, beeindruckend.


Samstag, 12. Juni 2010

Bisschen bissig: Wie weiblich ist Fotografie?

Vielleicht mache ich ja alles falsch... Zum Beispiel fasse ich meine Kamera stets ohne Handschuhe an. Das Heft „Foto-Lady“ des veritablen Versandhauses Brenner weiß es da aber besser. Es will „die Frau hinter der Kamera“ mit Produkten und Tipps versorgen, verspricht sogar einen Fotokurs. Macht sich da endlich mal jemand über den weiblichen Blick Gedanken, ist die Zukunft der Fotografie gar weiblich?

Kann ich also meine Bilder optimieren, wenn ich beim Fotografieren Handschuhe trage? Oder geht es vielmehr darum keine Fingerabdrücke auf dem Gehäuse zu hinterlassen, damit man später die Täterin der Fotos nicht so leicht identifizieren kann? Nein, ich hab’s: Den Fotoapparat nicht nur auf Händen zu tragen, sondern auf Handschuhen, hilft – beim Weiterverkaufen.
Denn schlägt frau das Heft auf, wartet der schon auf dem Titel angekündigte „Fotokurs Produktfotografie“, Untertitel „Internetverkauf ist weiblich“. Am Beispiel roter High-Heels wird ein Lichtwürfel vorgestellt, den man für bessere Verkaufserfolge in Internet-Auktionshäusern tunlichst erwerben sollte. Ob es auch mit anderen Schuhen funktioniert? Die abgebildeten sollte frau allerdings in der Tat schleunigst loswerden, wenn sie das Fotografieren ernsthaft betreiben möchte. Als Arbeitskleidung für eine Tätigkeit mit immer wieder nicht zu unterschätzendem körperlichem Einsatz (wie zum Beispiel Objektivstemmen) taugen sie null.

Die im Heft ausgestreuten Zitate von Oscar Wilde erwecken immerhin mein Vertrauen, der wusste doch was Frauen wünschen - oder hab ich da was falsch verstanden... Wow, die kleine Kompakte gibt es auch mit Brilli! Und das „x-tra einfach in der Bedienung“ – da hat sich jemand echt über die Bedürfnisse von Frauen Gedanken gemacht. Denn das Doofe am Fotografieren ist ja die viele Technik. Wo doch jeder, zumindest jeder Mann, weiß, dass Frauen und Technik... Was ja offenbar kein Vorurteil ist, wenn es sich so hartnäckig hält. Muss was dran sein.

Auf der nächsten Seite: unentbehrliches Zubehör. Fototaschen als Handtaschen verkleidet. Klar, zeigen sollte frau dann vielleicht doch nicht so offensichtlich, dass sie sich der männlichen Domäne Fotografie bemächtigt hat. Der nicht-ganz-Louis-Vuitton-Preis für so ein Teil rechtfertigt sich bestimmt durch die 3 (?) Handy-Taschen. Auch an Schlaufen für Lippenstift wurde nicht gespart. Doch das „lange Band mit Karabinerhaken“, ist da etwa eine Outdoor-Version gleich eingearbeitet? Why not, so outdoor im Cabrio macht sich die Tasche bestimmt klasse. Aber auch nur, wenn sie zur Lederfarbe der Sitze passt. Die vamp-mäßig in Fell gekleidete Schöne auf der nächsten Doppelseite – also in einem Heft für die weibliche Klientel hätte ich ein entsprechend leicht bekleidetes männliches Model verführerischer gefunden – schielt begehrlich auf weitere Taschen.
Allmählich drängt sich mir der Gedanke auf, dass sich das Heft gar nicht an die weibliche Klientel richtet. Sondern an die Ehemänner, die mal noch eben ein Geschenk suchen für ihre dekorativere Hälfte.

Also mache ich ja vielleicht doch gar nichts falsch, wenn ich bei meiner Ausrüstung bleibe und weiterhin munter und drauflos mit Fingerabdrücken fotografiere. Allerdings: Jemand der mir besagte Ausrüstung trägt, könnte ich schon gebrauchen. Analog zur „Frau hinter der Kamera“ wäre das dann „der Mann unter der Kamera“.

Bewerbungen bitte an mich;-)


Sonntag, 6. Juni 2010

Realität als Verhandlungssache - "Blow Up", Teil 2

Der von David Hemmings gespielte Fotograf ist einerseits ein vollendeter Macho der prae-feministischen Ära. Die oberflächliche Glamour-Welt, der er angehört, scheint ihn gleichzeitig zu langweilen, und an sich verachtet er diejenigen mit denen er zusammenarbeitet. „Ich kann die Fratzen von den blödem Weibern nicht mehr sehen“, gesteht er einem Freund. Auch wenn da viel Koketterie im Spiel ist – der Zynismus bleibt. In seinem Umfeld wird fast jede Frau zum anbiedernden Groupie, dessen Selbstwert in der Aura des Starfotografen wächst. Der nimmt sich die Welt, egal ob Frau oder Motiv. Bestenfalls fällt beides zusammen wie in der berühmten Szene mit Verushka, die auch auf dem Filmplakat abgebildet ist.

Doch trotz aller Überheblichkeit ist der Protagonist auf der Suche – vordergründig nach gewinnbringenden Motiven, hintergründig nach Wahrheit und Sinn. Die zunächst hemmungslos voyeuristisch fotografierte Szene im Park erregt auch in der Dunkelkammer seine Aufmerksamkeit, denn aufgrund einer Widersprüchlichkeit gerät er auf die Spur eines Mordes. In endlos scheinender Folge vergrößert er das fragliche Detail bis das Filmkorn einem abstrakten Kunstwerk gleicht. Ein solches hat der Betrachter bereits gesehen, im Atelier von Bill, der das Bild folgendermaßen erläutert: „Es hat keine Bedeutung. Erst später finde ich irgendwas, das mich daran fesselt. Dann wird alles auf einmal klar und fügt sich zusammen. So als ob man in einem Krimi eine Spur findet.“ Das ist eine Schlüsselszene des Films - der neben einem Generationenportrait nichts weniger als eine philosophische Parabel ist: Welche Bedeutung haben die Dinge, und haben sie überhaupt eine Bedeutung?

Das aufgeblasene (blow up) Detail schließlich zeigt Pistole und eine Leiche. Dieser Art begegnet der Fotograf dem Tod, was ihn nachdenklicher macht (und die von seinem arroganten Gehabe angenervte Betrachterin atmet erleichtert auf;-).
Der Regisseur findet Gefallen am Verwirrspiel mit der Wahrheit: Die Bilder, die vermeintlich die Realität abbilden und die Existenz der Leiche belegen, lässt er verschwinden bis auf eines. Vanessa Redgrave holt sie aus dem Studio und behauptet damit ihr Persönlichkeitsrecht. Dann ist auch die Leiche selber weg. Was ist nun wirklich passiert? War alles nur Einbildung? Ist Realität in Wahrheit ein Konstrukt, das nur für diejenigen Gültigkeit hat, die seine Spielregeln teilen? Das legt Antonioni nahe und verpackt diese Ansicht in das lyrisch- pantomimische Tennisspiel der Schlussszene. Dieses Spiel gibt es nur als Vereinbarung aller Beteiligten. Zunächst bleibt die Kameraführung außerhalb, dann folgt sie dem unsichtbaren Ball – bevor der Fotograf ebenfalls seine Zuschauerrolle verlässt und den imaginierten Ball aufs Spielfeld zurückwirft.
In dem rätselhaften Kaleidoskop, das dieser Film darstellt, nimmt die Fotografie einen Platz ein, der manche vielleicht überraschen mag: Keinesfalls steht sie für die objektive Wahrheit, sondern lediglich für des Fotografen Sicht auf die Welt. Die postulierte Objektivität gibt es nicht. Deutung, Bedeutung ist eine Vereinbarung, gewissermaßen Verhandlungssache.

Mittwoch, 2. Juni 2010

"Jeder wollte plötzlich Fotograf werden."

In seinem schnell zum Kultfilm avancierten "Blow Up" von 1966 zeichnet der Regisseur Michelangelo Antonioni einen erfolgreichen Fotografen, der sich in der Londoner Sixties-Szene zwischen Models, beat-unterlegten Marihuana-Wolken und Wahrheitsfindung bewegt. Vieles an dem Film war für den damaligen Blick anstößig, nicht zuletzt die sexuell aufgeladenen Szenen im Wohnatelier des Protagonisten.

Mein heutiger Gast, der Fotograf Kurt Henseler, war beim Erscheinen des Films mitten in seiner Ausbildung. Im Interview erzählt er, wie der Film die Gemüter damals bewegt hat.
CW: Als "Blow Up" herauskam, warst Du gerade 17-jähriger Fotografenlehrling. Wie hat der Film auf Dich gewirkt?
KH: Ich war damals in meinem ersten Lehrjahr, in Düsseldorf. Der Film war völlig anders als man bis dahin Kino kannte. Er hat ein bestimmtes Lebensgefühl transportiert, eine Aufbruchstimmung. Er ist nicht umsonst ein Kultfilm geworden. Es spielt alles mit hinein, was dann in die Hippiezeiten, die 68-er gemündet hat, wie Rockmusik zum Beispiel.
Der Fotografenberuf war ja zu der Zeit in erster Linie Handwerk und oft eher eine muffige Angelegenheit. Er hatte noch nicht dieses Flair wie er es heute hat. Man hat Passbilder gemacht und meist die Tage in einer stickigen Dunkelkammer verbracht.
Und wenn man als Lehrling überhaupt mal fotografieren durfte, musste man extrem sorgfältig mit dem Hintergrundkarton umgehen, damit er ja keinen Knick bekommt. Und jetzt spielen sich in dem Film Szenen ab, wo nicht nur einer, sondern gleich mehrere Hintergrundkartons zerknüllt werden! Das war eine unglaubliche Verschwendung und völlig konträr zu dem, was wir gelernt haben. Und in der Dunkelkammer wässert er dann kaum, jedenfalls nicht wie wir das mussten. Wie der mit dem Material umgeht, war klar: Er muss wirklich reich sein. Es wär natürlich auch langweilig im Film, ihm zuzuschauen wie er eine Stunde wässert. (lacht)
In der Berufsschulklasse, die damals klein war, haben wir uns wochenlang über diesen Film ausgelassen. Da hat man sich gedacht: „Mensch, hast du doch den richtigen Beruf gewählt.“ – Ein Jahr später gab es dann mehrere Fotografenklassen, weil jeder Fotograf werden wollte plötzlich. Schwer zu sagen, ob das wegen des Films war, aber der hat sicher dazu beigetragen. Er war so geheimnisvoll, und der Fotografenberuf ist als was Besonderes rausgekommen. Jeden Tag kannst du so was machen wie der im Studio ...

CW: Was macht der denn?

KH: Ja gut, also Mädels vernaschen und so. Dass das natürlich wenig mit der Wirklichkeit zu tun hat, ist einem erst im Laufe der Jahre oder gar Jahrzehnte aufgegangen. Es herrscht vielleicht immer noch eine etwas seltsame Meinung über den Beruf, dass man ja nur einen Auslösefinger bewegen muss und das war’s. „Fotograf?“ – „Oh, cool“, ist ja noch häufig die Reaktion. Dass es hart arbeiten bedeutet und du diszipliniert vorgehen musst, das sehen die Leute nicht.

CW: Habt Ihr als Lehrlinge versucht die Kluft zwischen Film und Wirklichkeit irgendwie zu überbrücken?

KH: Nein, damals konntest du als Lehrling – ich weiß nicht wie es heute ist – in so einem Laden nichts tun außer du bist angeleitet worden. Sich Sondergeschichten erlauben, das war überhaupt nicht drin. Da galt „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Von daher hat der Film keine Auswirkungen in der Realität gehabt, zumindest nicht bei denen, die ich kannte. Aber im Kopf hat es was verändert, und manchmal fangen Sachen ja im Kopf an. Man war plötzlich stolz, Fotograf zu sein.

CW: Das Bild im Kopf, hat Dich das dann für Deinen weiteren Werdegang beeinflusst? Du hast ja aber einen anderen Weg eingeschlagen als Modefotografie...

KH: Es ging mehr um das Lebensgefühl als um einen ganz konkreten Einfluss. Vermutlich hätte der Film ähnlich gewirkt, wenn ich Einzelhandelskaufmann gelernt hätte. Außer dass da die Identifikation mit der Figur nicht so aufgegangen wäre. Denn der Fotograf ist ja das Besondere in dem Film.
Übrigens haben wohl die meisten von uns damals gar nicht gewusst, was „blow up“ eigentlich heißt, dass damit das Vergrößern gemeint ist. Hauptsache Englisch, das war das Lebensgefühl, so genau musste man das nicht verstehen.

Mehr von und über Kurt Henseler auf: www.kurt-henseler.de